4. Die Sanktionierung der Kirchenreform durch verfassungsmäßige Synoden

Die Autorität, mit welcher sich die landgräfliche Kirchenreform bis dahin geltend gemacht hatte, war die der absoluten Suprematie des Landesherren über die gesamte kirchliche Ordnung des Landes. Mit der früheren kirchlichen Entwicklungstand diese Form der Kirchenverbesserung im Widerspruch. Die kirchliche Verfassung, die nämlich auf der Wirksamkeit der General- und Diözesansynoden beruhte, war bei der Einführung der Reform ganz unbeachtet gelassen worden. Aber vielleicht konnten die ungenügenden Erfolgeder bisherigen Reformversuchegerade hierin, wenigstens teilweise, ihren Grund haben. Moritz sah sich daher allmählich selbst gedrungen, für seine Sache eine andere Autorität und Sanktion zu suchen, und diese konnte er nur in der verfassungsmäßigen Ordnung der Kirche zu finden hoffen. Er entschloß sich daher im Anfang des Jahres 1607, die bisher ganz übersehene Institution der Synoden von neuem ins Leben zu rufen und dem Ermessen und der Wirksamkeit derselben - soweit es tunlich schien - die ganze Sache zu überg eben. Zur Vorbereitung der Generalsynode war die Versammlung von Diözesansynoden in allen Bezirken des Landes erforderlich. Er beauftragte deshalb am 17. Januar 1607 die Superintendenten zu Kassel, Eschwege, Marburg und St. Goar, die Pfarrer ihrer Bezirke am 17. Februar 1607 zu Diözesansynoden zu versammeln und sich mit denselben über diejenigen Punkte zu verständigen, welche er in der Synodalproposition angeben werde. Der Hersfelder Pfarrer - es war Pfarrer Vitus (Veit) - hatte in Eschwege zu erscheinen. Es ging insbesondere um das Sakrament des Abendmales, um die Zeremonien bei der Austeilung desselben und um die Lehre der zehn Gebote. Den Pfarrern wurden sieben Punkte vorgelegt, zu denen sie Erklärungen abgeben sollten. So wurde in dem ersten Punkt gefragt, ob sich die Pfarrer zu den vorangegangenen Synodal-Abschieden „in artikulo der person Christi ejusqu. naturis (!)" (1) bekennen würden „unndt dar vonn nach inhalt derselbigen abschied reden undt lehren wollen oder nicht." (2) Der Hersfelder Stadtpred ig er erklärte, daß er den Synodalabschieden niemals zuwider gelehrt habe, „und wo diselbige der persona Christi ejusqu. naturis (!) in concreto reden", da habe er auch so gelehrt, „aber ahn die locutiones in concreto" (siehe voriges Kapitel) allein sich „zu obligieren" (3), könne er nicht tun. Im zweiten der vorgelegten Punkte wurden die Pfarrer gefragt, ob sie die zehn Gebote Gottes, wie sie Gott zu lernen und zu lehren befohlen habe, ganz und ungestümmelt lehren würden oder nicht, und wo das nicht der Fall sei, aus welchen Ursachen sie denn hierin dem Worte Gottes gegenüber nicht den schuldigen Gehorsam übten.(4) Der Stadtpfarrer erklärte, den Decalog belangend könnte er das Gebot der „non faciendis sculptilibus" (5) als ein besonderes Gebot nicht ohne Gewalt einführen. Im dritten Punkt wurden die Pfarrer gefragt, ob sie beim Abendmahl Brot reichten, wie es von Christus verordnet sei, oder nicht. Zu diesem Punkt äußerte sich der Pfarrer, daß er sich in seiner Gemeinde dafür verwenden wolle, daß sie die Zeremonie des Brotbrechens für ein „Adiaphoron" (etwas Gleichgültiges) erachte, wofür auch er sie halte, und sie annehme. Im Falle, daß die Gemeinde eine Annahme dieser Zeremonie verweigern würde, wolle und könne er seine Gemeinde nicht verwirren.(6) Auf die vier übrigen Punkte liegen keine Antworten des Pfarrers vor.
Wie es scheint, ist auch der Rat der Stadt aufgefordert worden, eine schriftliche Erkärung zu disen Punkten abzugeben. Es liegt nämlich eine Erklärung desselben vor, in welcher dieser verkündet, daß er mit des Pfarrers Meinungvöllig übereinstimme. Was die Natur Christi angehe, so sei ein jeder mit der Lehre aufgezogen worden, wie sie bisher gelehrt worden sei, und man wolle es dabei auch bewenden lassen, „daß der her Christi warhaftig im Abentmahl gegenwertig sey, wie es aber zü gehe, das stellen sie Gott und seiner allmacht, die alles nach seinem willen schaffen könne, anheim."(7) Die Antwort des Rates auf den zweiten Punkt, der die Einfügung des Bilderverbots in die Tafel der zehn Gebote vorsah, ist sogar nicht ohne Sarkasmus. Man wüßte sich in Hersfeld nicht zu erinnern, daß die zehn Gebote jemals nicht vollständig gelehrt worden seien, und man glaube, das würde auch jetzt nicht geschehen. Wolle man aber die zehn Gebote ändern, also ein neues Gebot aus dem „Du sollst dir kein Bildnis machen" u.s.w. erstellen, so sei ihre Meinung, daß in dem ersten Gebot „Du sollst keine anderen Götter haben" u.s.w. doch auch schon enthalten sei, daß man keine Bilder anbeten solle. Sie wüßten sich auch nicht zu erinnern, daß in Hersfeld „die crucifix und bilder angebetet worden seyen".(8) Wenn man im übrigen aus zweien eines machen wolle, so stelle man dies dahin. Der letzte Satz bezieht sich wohl darauf, daß im neuen Katechismus (damit man durch die Einschiebung des Bilderverbots die Zehnzahl der Gebote nicht veränderte) das neunte und zehnte Gebot der lutherischen Fassung in eins zusammengezogen wurde. Was die Einführung des Brotbrechens beim Abendmahl betreffe, so halte der Rat diesen Punkt für ein Adiaphoron „und kein notwendig, sondern ein freywillig ding, wan es aber ein necessarium und notwendig ding seyn solte, so würde es bei dem gemeinen man ein ergernis geberen, wöllen sich aber verhoffen, man werde dise christliche gemein bei dem, wie es bis dahero gebraucht worden, pleiben lassen und die gewissen beim gemei nen mann nicht verwirren."(9) Die angeordneten Diözesansynoden erbrachten für den Landgrafen die erfreuliche Tatsache, daß die Mehrzahl der Prediger des Landes den Verbesserungspunkten nicht entgegen war, so daß auf der Generalsynode die unbedingte Sanktionierung derselben erwartet we rden konnte. Nur eine geringe wenn auch nennenswerte Anzahl von Geistlichen hatten sich gegen die Verbesserungspunkte erklärt. Dennoch schwankte Moritz, ob er vor einer Generalsynode nicht noch eine Generalversammlung der Ritterschaft einberufen solle, deren Renitenz ihm besonders im Wege stand. Er schickte daher am 9. März sämtliche vier Abschiede der Diözesansynoden an die Kanzlei in Kassel und gab seinen Räten auf, aus denselben alles zusammenzutragen, was zur Erhaltung seiner „jurium episcopalium" dien lich sei. Die Kanzlei machte am 16. März den Vorschlag, daß Moritz die Generalsynode nach Eschwege ausschreiben solle, um von da aus um so erfolgreicher den Widerstand der Ritterschaft an der Werra brechen zu können. Moritz ging auf den Antrag der Kanzlei ein und schrieb die Genaralsynode auf den 12. April aus. Als Tagungsort der Synode bestimmte er jedoch nicht Eschwege sondern Kassel. Versammelt waren in Kassel die vier Superintendenten, zwei Kasseler Pfarrer, acht Metropolitane aus allen Teilen des Landes und dreizehn fürstliche Beamte, darunter Landvögte an der Lahn und an der Werra und der Vizekanzler der Universität. Die Synodalpropositionen stimmten in ihren Hauptteilen mit denen der Diözesansynoden überein. Landgraf Moritz legte außerdem eine ihm tags vorher zugegangene Eingabe der Ritterschaft an der Werra vor, deren Unterzeichner darin gegen den Beschluß der Eschweger Diözesansynode, daß gegen alle „recusierenden" Prediger mit Amtsentsetzung vorgegangen werden müsse, feierlichst protestierten. Wä hre nd die drei Superintendenten aus Kassel, Marburg und St. Goar mitteilen konnten, daß sich in ihren Diözesen nur noch eineige „Recusanten" befänden, die sich aber bald fügen würden, meldete der Superintendent aus Eschwege, daß sich in seiner Diözese zwölf Pfarrer der Kirchenreform widersetzten. Diese wurden sofort vor die Schranken der Synode geladen, wo sie am 17. April über die Gründe ihrer Renitenz Rechenschaft ablegen sollten. Nach der Beendigung dieser Generalsynode war es das erste Anliegen des Landgrafen, den Widerstand der Pfarrer der adeligen Patronate und der Patronatsherren in der Werragegend gegen sein Verbesserungswerk zu brechen und in Eschwege die Kirchenreform einzuführen. Dann wandte er sich Schmalkalden zu, wo er die ersten Versuche zur Einführung der Verbesserungspunkte schon 1603 und 1605 unternommen hatte.
(1), (2) und (4) Handschriften des Stadtarchivs Hersfeld: E XXXIV. 1.1c Bl.3
(3), (5), (6), (7), (8) und (9) Handschriften des Stadtarchivs Hersfeld: E XXXIV. 1.1c Bl.4




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