12. Der zweite Besuch des Landgrafen in Hersfeld und die Absetzung des Presbyteriums

Landgraf Moritz war jetzt überzeugt, daß es höchste Zeit sei, auf der exaktesten Vollstreckung aller die Kirchenreform betreffenden Bestimmungen nachdrücklichst zu bestehen. Er begab sich daher nochmals in eigener Person am 24. April nach Hersfeld und ließ sich von dem Pfarrer in einem schriftlichen Bericht über alle kirchlichen Verhältnisse der Stadt die genaueste Auskunft geben. Er forderte die Räte des Stiftes, den Magistrat und das Presbyterium (die Kirchenältesten) unter Androhung seiner höchsten Ungnade und mit dem Hinweis auf die gerechten Strafen Gottes, von welchen sie im Falle weiteren Widerstrebens sicherlich getroffen würden, auf, ihre Zusagen, die sie vor wenigen Monaten seiner Kommission gegeben hatten, eingedenk zu sein und die Aussöhnung der Gemeinde mit der neuen kirchlichen Ordnung durch ihren ganzen Einfluß zu unterstützen.



Das Rathaus von Bad Hersfeld

Der Magistrat versuchte, sich in einer schon am 16. April geschriebenen und am 25. April im Stift vor dem Landgrafen verlesenen Eingabe zu entschuldigen. Die Androhung der landgräflichen Ungnade verfehlte ihre Wirkung nicht. Man erklärte nochmals, sich der neuen kirchlichen Ordnung fügen zu wollen, und versicherte den Landgrafen der vollkommensten Sympathie für die Kirchenverbesserung. Auch der Präsident des Stiftes von Scholley erklärte, dieselbe nach wie vor im Auge behalten und eifrigst fördern zu wollen. Zu den von dem Pfarrer in seinen Berichten vorgebrachten Beschwerden erklärte man, daß sich auch die Ratsverwandten der der Kommission gegebenen Zusagen erinnern würd en. Wenn sie bisher dem Abendmahl ferngeblieben seien, so sei das kein Vergessen der gegebenen Zusagen oder Verachten der Zeremonien des Brotbrechens; sie seien sicher verhindert worden, sei es, daß sie auf Reisen nach Frankfurt oder Leipzig gewesen seien, oder aber durch andere Gründe verhindert gewesen seien. Diese Begründung klingt zwar etwas gequält und an den Haaren herbeigezogen, aber irgendwie mußten die Hersfelder ihr Fernbleiben vom Abendmahl ja begründen. Der Magistrat schreibt weiter, es würde ihn sehr befremden, daß man ihm die Schuld gebe, daß man sich wegen der Auflegung des schwarzen Tuchs auf den Altar und der Anbringung einer Schwelle hinter dem Altar beschwert habe. Der Rat habe vielmehr dem Kastenmeister (Verwalter des Gesamtvermögens, des „Gotteskastens", der Kirchengemeinde) befohlen, selbige Schwelle anbringen zu lassen. Die Klage über die schlechte Aussprache des Pfarrers über die sich die Bürger beklagt hätten, sei auch bisher nur von den Kirchenältesten vor der fürstlichen Kanzlei im Stift und vor Dekan Stein bei dessen Anwesenheit vorgebracht worden. Sie müßten zwar eingestehen, daß man den Pfarrer M. Clebius selbst bei dem hersfeldischen Präsidenten und dessen Räten vorgeschlagen habe, aber damals sei noch jeder mit ihm zufrieden gewesen. Man wolle hoffen, daß Clebius seine Sprache so ändern und sich dahin bessern werde, daß die ganze Bürgerschaft mit ihm zufrieden sein könne. Was die Klagen des Pfarrers wegen der fünfzehn Gulden betreffe, die Pfarrer Vitus für die Predigten im Spital erhalten habe, weil er ein oder zwei Jahre dort umsonst gepredigt habe, sei es aber nicht an dem, daß diese Summe hinfort jedes Jahr gezahlt werden solle. Die Predigt im Spital sei eingerichtet worden, weil „die damaliche arme leut in die pfarkirche winthers zeit nicht kommen konnen." (1) Im übrigen sei die Predigt mit Einwilligung des Herrn Superintendenten in die Stadtkirche verlegt worden. In der Entschuldigungsschrift folgt dann die Namensliste der zehn Leute aus der Bürgerschaftund den Räten, die bish er am Abendmahl teilgenommen hatten. Im übrigen ergeht man sich mit Höflichkeits- und Ergebenheitsfloskeln. Darauf schickte der Landgraf den Sekretär Sengen ins Rathaus und ließ erklären, daß er mit denen, die kommuniziert hätten, zufrieden sei. Er wolle hoffen, daß sich auch die Übrigen bald zur Teilnahme am Abendmahl einstellen würden. In den anderen Punkten könne er dem Rat keine Schuld geben. Danach ließ der Landgraf die Kirchenältsten zu sich rufen, um mit ihnen zu verhandeln.
Wenn auch die Einwände der Hersfelder gegen die Kirchenverbesserung durchaus verständlich waren - sie wollten dem christlichen Glauben in der lutherischen Form treu bleiben - so wirken sie doch hilflos und dürftig und waren den Argumenten des Landgrafen in keiner Weise gewachsen und seiner Rhetorik klar unterlegen. Vor allen Dingen besaß auch der Landgraf alle Mittel, seinen Willen durchzusetzen. Das sollte sich nicht zuletzt einmal wieder bei der Verhandlung mit den Kirchenältesten zeigen. Diese ließen noch dieselbe Abneigung gegen die Verbesserungspunkte erkennen wie früher. Auf Grund ihrer Klage über den Pfarrer wegen der Auflegung eines schwarzen Tuches auf den Altar an Stelle der früheren bunten Tücher fragte sie der Landgraf, ob sie auch wüßten, warum dies geschehen sei und warum sie nicht am Abendmahl teilgenommen hätten. Darauf antworteten die Kirchenältesten, daß der Pfarrer ungereimte und grobe Reden vom heiligen Abendmahl geredet habe. Als der Landgraf nachfragte, was er denn geredet habe, konnten sie es nicht sagen mit der Begründung, sie seien alte verlebte Leute, würden nicht mehr gut hören und könnten deshalb den Pfarrer auch nicht so recht verstehen. Da hielt ihnen der Landgraf vor, daß sie doch nicht klagen könnten, wenn sie es doch nicht gehört hätten. Darauf schränkten die Kirchenältesten ein, sie hätten von den Bürgern gehört, was der Pfarrer gesagt habe. Als er sich so eine weile mit den Kirchenältesten unterhalten hatte und es sich auf Grund seiner Fragen herausgestellt hatte, daß sie mit den christlichen Glaubenssätzen und deren Inhalt und Bedeutung wenig vertraut waren, befahl der Landgraf dem Rat, sich nach tüchtigen, wohlbelesenen und verständigen Personen umzusehen und sie an deren Stelle zu setzen. (2) Die Kirchenältesten wurden daraufhin vom Landgrafen kraft seiner bischöflichen Gewalt abgesetzt und ihre Stellen mit den ergebensten Anhängern der Kirchenverbesserungen neu besetzt. Seitdem war der Arm des Landgrafen stark genug, um den Unmut der Hersfelder Bevölkerung in den Schranken des Gehorsams zu halten.
(1) Handschrift des Stadtarchivs Hersfeld, E XXXIV. 1. 1e Bl. 8
(2) Vergl.: Handschrift des Stadtarchivs Hersfeld, E XXXIV. 1. 1e Bl. 8




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