10. Dekan Steins Untersuchung der Vorgänge in Hersfeld

Landgraf Moritz beauftragte am 8. März 1609 den Dekan Stein von Rotenburg, sich schleunigst wieder nach Hersfeld zu begeben und den Magistrat sowie den Kaplan Raid wegen aller bis dahin vorgekommenen Ungehörigkeiten zur Rede zu stellen. Der Dekan begab sich also begab sich also zum zweiten Mal nach Hersfeld und legte dem Magistrat und dem Stifte am 14. März die drei Beschwerdepunkte des Landgrafen vor. In der die Verhandlungen mit dem Rate betreffenden Akte, die in Anwesenheit des ganzen Rates angefertigt wurde, spricht der Aktenschreiber von „I. f. Gn. sonderbaren schriftlich befelch," (1) den der Dekan vorzutragen hatte. Es scheint, als heuchelte man in Hersfeld größtes Erstaunen, daß der Landgraf noch immer nicht zufriedengestellt sei. Im ersten Beschwerdepunkt sagte Dekan Stein, es sei den Herren des Rates doch sicher „unentsunken", was kürzlich in dem auf fürstlichen Befehl abgehaltenen Examen von den fürstlichen Kommissaren abgehandelt worden sei. Es sei seither doch eine geraume Zeit vergangen, in der man sich wohl hätte informieren lassen können, daß dem allerhöchsten Beispiel Jesu Christi billigerweise das Lob und der Vorzug gegeben werden solle. Deshalb sei es dem Landgrafen nochmaliger gnädiger Befehl, daß die christliche Kommunion und die heiligen Zeremonien des Abendmahls (so jedenfalls, wie Moritz sie in seinen Verbesserungen wünschte) ins Werk gesetzt würden und der Rat den einfältigen frommen Herzen mit gutem Exempel vorleuchten wolle. Die Hersfelder Bürger sollten den Schmalkaldenern nicht nach stehen, die sich doch auch (wenn auch zwangsweise) in die Kirchenverbesserungen gefügt hätten. Weil der Landgraf gehört habe, daß etliche Bürger hätten verlauten lassen, man solle sich nach einem anderen Prädikanten umsehen, so sei es sein weiterer Befehl, daß der Rat ein solches unzeitiges Ersuchen hintertreiben und die Bürger zur Ruhe bringen wolle. Auch sei zu sagen, daß der hersfeldische Rat die Präsentation des jetzigen Prädikanten M. Clebius mit der Bemerkung begründet habe, daß selbiger schon mit im Vorschlage gewesen sei, als Pfarrer Vitus angenommen worden war, zu dieser Zeit auch in Hersfeld gepredigt habe, in der Stadtschule gepredigt habe und letztlich auch von ehrlicher Eltern Herkommen sei. Deshalb könne man auch an seiner Lehre keinen Tadel finden. Der Landgraf lasse fragen, warum man sich deshalb nunmehr über ihn beschweren würde. Weil schließlich Pasquillen an die Häuser geklebt worden seien, sei es I. f. Gn. ernster Befehl, daß der Herr Schultheiß kraft seines tragenden Amtes ein „wackeres" Auge habe und mit dem Rat mit allem Ernst in Erfahrung bringen solle, wer die Pasquillenschreiber seien und diejenigen, die die Finsternis mehr liebten als das Licht und mit ihrem Beginnen die einfältigen Herzen beunruhigten. Dieselben sollten einer gebührlichen Bestrafung zugeführt werden. In ihrer Antwort erklärten die Stadträte, daß man sich wohl noch an den von den von den fürstlichen Kommissaren gehaltenen Vortrag über die Verbesserungspunkte erinnern könnte und würde auch die Einführung der Zeremonie des Brotbrechens beim Abendmahl gemäß ihren Zusagen unterstützen. Sie wollten ja auch gerne den Einfältigen mit gutem Beispiel vorangehen, aber weil sie doch alle noch nicht genügend über die Verbesserungspunkte unterrichtet worden seien, so hätten sie also bisher dieser ihrer Zusage bisher noch nicht nachkommen können. Der Pfarrer hätte auch erst für den Sonntag Reminiscere zum ersten Mal das Abendmahl zu halten angekündigt und sie auch meistenteils als noch nicht „qualifiziert" erachtet. Sowohl die Kirchenältesten als auch etliche Bürger hätten gesagt, daß sie den Pfarrer wohl noch nicht recht verstehen könnten. Sie seien aber alle nicht ungeneigt, ihren der Kommission gemachten Zusagen nachzukommen, sofern der Pfarrer die Verbesserungspunkte der Gemeinde etwas deutlicher und verständlicher, als es bisher geschehen sei, jedoch mit Bescheidenheit erklären würde. Würde dies geschehen, so dürfe man hoffen, daß - sofern sie nicht durch andere unverhofft vorfallende Ursachen davon abgehalten würden - die auf das bevorstehende Fest Annunciationis Mariae angekündigte Abendmahlsfeier recht zahlreiche Teilnehmer finden werde. Zum zweiten Beschwerdepunkterklärten sie, daß der Wunsch, einen anderen Pfarrer zu haben, von den Mitgliedern des Stadtrates niemals ausgesprochen worden sei. Lediglich die Kirchenältesten seien vor ihnen im Rathaus erschienen und hätten sich beschwert, daß die Stühle und Bänke in der Kirche sehr leer blieben. Die Leute würden sich an den Sonn- und Bettagen nicht mehr so fleißig zur Kirche begeben, wie es früher (bei Pfarrer Vitus) geschehen sei. Das ginge ihnen schmerzlich zu Herzen. Sie könnten es auch in ihrem Gewissen nicht verantworten, wenn sie solches der Obrigkeit nicht anzeigen würden. Sie bäten um Einsehen, denn der größte Teil der Bürgerschaft beschwere sich zum höchsten. Obwohl sie ja gerne Gottes Wort hören wollten, um ihr Herz damit zu trösten, so könnten sie doch nun einmal nicht den Herrn Pfarrer verstehen. Sie wollten deshalb gebeten haben, den fürstlich hersfeldischen Herrn Präsidenten und Kanzler zu Rate zu ziehen und ihre Bedenken darüber vorzutragen. So sei es auch geschehen und bisher sei es auch dabei geblieben, denn man hoffe, daß der Pfarrer in der Predigt und der Auslegung der Schriften etwas langsamer und verständlicher reden würde, solange die Gemeinde sich noch nicht an seine „sprach und ausrede" gewöhnt habe. Im übrigen habe man Pfarrer Glebius damals vorgeschlagen, weil seine Aussprache damals besser und verständlicher gewesen sei als jetzt. Man wolle aber hoffen, daß sie sich wieder so bessern werde, daß derartige Klagen der Bürger und Kirchenältesten nicht mehr vonnöten sein würden. Was die ärgerlichen Pasquillen betreffe, so erklärten sie zum dritten Beschwerdepunkt, habe dies der Rat sehr ungern vernommen. Man erachte sich schuldig, da diese Diffamanten ausfindig gemacht werden konnten, sie einer gerechten Strafe zuzuführen.
Die von dem Kaplan Abraham Raid begehrte Amtsentsetzung betreffend erklärte Präsident von Scholley, daß darüber der Superintendent schon benachrichtigt sei. Er bemerkte jedoch, der Kaplan habe diesen Schritt nicht bloß seiner geschwächten Gesundheit halber, sondern vielmehr darum getan, weil ihm, wie er sich mehrfach geäußert habe, seit mehreren Monden ein nagender Wurm im Gewissen sitze. Der Dekan beschied den Kaplan in die Kirche und forderte ihn im Beisein des Pfarrers Clebius auf, seines gegebenen Versprechens eingedenk zu sein und der Kirchenverbesserung kein Hindernis in den Weg zu legen. Raid entgegnete jedoch, sein körperliches Befinden habe sich seit einiger Zeit derartig verschlimmert, daß er die Kanzel nicht mehr betreten und nur allenfalls den Kelch bei dem Abendmahl administrieren könne.
Der Dekan hatte sich nun aller von Moritz erhaltenen Aufträge entledigt. Er begab sich nach Rotenburg zurück und berichtete am 16. März über das Ergebnis seiner Mission nach Kassel. Aber nur zu früh mußte es sich herausstellen, daß eine feste Begründung der neuen kirchlichen Zustände immer noch nicht gewonnen war.
(1) Handschrift des Stadtarchivs Hersfeld, E XXXIV. 1. 1e Bl. 8




vorheriges Kapitel

Hauptseite

nächstes Kapitel